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Richtig gut dekodiert!

Heutzutage ist es ziemlich „in“, coden zu können. Ich bin keine Programmiererin und keine IT-lerin, habe aber ein langjähriges Projekt dekodiert, das sich andauernd verändert, höchst komplex ist und bezüglich dessen ich regelmäßig Fehlinformationen erhielt, welche mich bei dieser Aufgabe auf falsche Pfade lockten. Vermutlich hätte ich mich also auch im Programmieren gut geschlagen, wenn ich es denn versucht hätte. 😉 Was ich denn jetzt eigentlich enträtselte? 

Naja – ich hätte auch einfach sagen können, dass ich mit 32 Jahren draufkam, dass ich zum Autismusspektrum gehöre. Aber dieser Satz beschreibt eben wirklich nicht aussagekräftig, was sich auf dem Weg dorthin und danach alles in mir abspielte. Denn ich enträtselte, womit es zu tun hatte, dass ich so hypersensitiv bin, was Außenreize angeht. Es wurde mir endlich verständlich, warum ich so oft in meinem Leben schon schmerzhaft planlos in Gruppensituationen gewesen war. Es war plötzlich glasklar, womit es zu tun hatte, dass ich andauernd missverstanden werde.  Und ich verstand mit der Zeit dadurch so Vieles mehr, das zu erklären bei Weitem den Rahmen sprengen würde. Aber jetzt mal zurück auf Anfang.

Zur Diagnose Autismusspektrum/Aspergerautismus war es für mich ein langer Weg, wie für einige hochfunktionale Autist:innen. Neben einigen tiefen Einblicken in meinen persönlichen Weg zur Diagnose möchte ich die persönlichen Beispiele am Ende des Artikels noch um eine Metapher ergänzen.

Ein sehr wichtiges Thema, worauf ich heute nicht näher eingehen werde, ist die intensivere, weil deutlich weniger gefilterte Wahrnehmung bei den meisten Autist:innen – und was das im Alltag bedeutet. Ich glaube, das Thema der Hypersensitivität bei Autismus hat einen eigenen Artikel verdient. Was mich betrifft, war diese sogar die Hauptspur, die mich überhaupt erst auf den Gedanken brachte, dass ich etwas mit Asperger zu tun haben könnte. Die bei mir extrem empfindsamen Sinne sind bei mir persönlich auch das, worunter ich am häufigsten und unmittelbarsten leide.Was ich eingangs abschließend noch erwähnen möchte, ist, dass ich hier nur für mich selbst sprechen kann, auch wenn einige meiner Erlebnisse sicher manchen Autist:innen bekannt vorkommen werden. Doch unterschiedliche Menschen, welche zum Autismusspektrum gehören, haben unterschiedliche Erlebnisse und Wahrnehmungen, Eigenschaften und finden unterschiedliche Wege, mit Dingen umzugehen. 

ÜBER DIE AUTORIN:

Pusteblume Davida

Davida Zoey ist Asperger-Autistin, queer, hat einen Magister in Psychologie und begeistert sich für Basketball. Ihre Artikel sind inspiriert von Neugier, Leidenschaft, Humor, und kritischer Reflexion.

Leidenschaft: Menschen. Diagnose: Autismusspektrum.Obwohl ich mit 19 noch große Angst davor hatte und wenig Plan darin, mit Menschen in Kontakt zu treten, entschloss ich mich nach der Matura, meinem Interesse an Menschen Raum in meinem Leben zu geben und somit Psychologie zu studieren. Relevante Notiz am Rande: In meiner Generation lernte man im Psychologiestudium so gut wie nichts zu Autismus.

 

Damit zurück zum Thema: Ich liebte Menschen und menschliche Rätsel schon immer. Bereits im Kleinkindesalter war ich voller Freude und Spannung dabei, wenn ich wiedermal meiner Mutter und ihren Freundinnen bei tiefgehenden Gesprächen zuhören durfte. Gemeinsam auf die Suche nach dem Ursprung von Lebensproblemen zu gehen, dabei die Stärken und den Respekt vor dem jeweiligen Menschen immer im Fokus behaltend – das war die Vision, die ich von meinem Traumjob hatte.

Denn – im Grunde kannst du – auch, wenn du eine Koryphäe im Fach Psychologie sein solltest – dem Menschen, mit dem du arbeitest, nur Proviant und Impressionen mit auf den Weg geben, sodass die Person im besten Fall gestärkt und inspiriert wird, die eigenen Probleme besser lösen zu können. Der Rest ist und bleibt eine Blackbox – wir sind alle schlussendlich zu einzigartig, glücklicherweise kann somit niemand einem anderen den richtigen Weg weisen.

Vom persönlichen Weltuntergang zum Neubeginn

Mit 20, so ziemlich knapp nach Beginn meines Psychologiestudiums, brach bei mir eine psychische Erkrankung aus. Die Diagnose, die ich bekam, lautete „akute Psychose“. Diese Diagnose warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Psychose: Das ist eine psychische Erkrankung, bei der der Wahrnehmungsfilter so stark durchlässig wird, dass man davon “verrückt” wird.

Ich fühlte mich während der akuten Erkrankung wie ein Schmetterling im Wirbelsturm, ging in nie dagewesenen Gefühls- und Gedankenstürmen unter und versuchte, diese durch absurde (Wahn-)konstrukte einzuordnen-  diesen Extremzustand somit erträglich – weil sinn-durchtränkt!- zu machen.

Meiner Meinung nach bergen Psychosen auch Chancen in sich – denn wir haben während einer Psychose -wenn auch chaotisch und angstbesetzt – Zugriff auf bisher unbewusste Aspekte unserer Selbst. Das kann man für sich nach so einer Krise nutzbar zu machen beginnen. Nichtsdestotrotz war es sehr erschreckend für mich, was ich da erlebt hatte. Noch viel erschreckender war aber, wie ich von Manchen wegen dieser Diagnose diskriminiert wurde – wenn sie denn davon wussten, denn an der Nasenspitze liest man diese Erkrankungserfahrung Niemandem ab.

Die eine hilfreiche Einschätzung, warum ich diese Erkrankung bekommen hatte, war übrigens, dass Patient:innen, die daran erkranken, „sehr sensibel“ seien. Das ergab für mich zwar Sinn, war aber auch nichts, das mich als Antwort zufrieden stellte. Für mich war es selbstverständlich, dass es nun an der Zeit war, mein Leben nochmal neu bewusst selbst in die Hand zu nehmen.

Ich informierte mich eigenverantwortlich off-Mainstream über Medikamente und sah die psychotische Erkrankung als erschreckenden Anlass, an meinem Gefühl für mich selbst zu arbeiten. Ich hatte – wann auch immer – das Gefühl dafür verloren, was ich will, wie ich die Dinge sehe und was ich gerade empfinde. Ich wusste seit einigen Jahren längst nur noch, was die Menschen um mich herum an Gefühlen ausdrückten und von mir brauchten. Eigentlich konnte ich mich gar nicht daran erinnern, ob ich diesen Zugang zu mir selbst je gehabt hatte – abgesehen von der Zeit meiner akuten Psychose. Denn während dieser spürte ich nicht nur Schlimmes und zu Vieles, sondern auch meine Lebenskraft war für mich überraschend intensiv zugänglich. Und dieser Aspekt war unvergesslich lebendig.

Nach meiner Ersterkrankung war mehr als ein Jahrzehnt lang meine Hauptmotivation, dieses persönliche “Auge des Sturms” auch im gesunden Zustand in mir freilegen zu lernen. Der Weg dorthin war sehr komplex, anstrengend und Vieles mehr, aber auch: möglich. Es gibt diesen immens kraftvollen und lebendigen Kern in jedem von uns, wie schwierig er auch oft freizugraben ist.

Ich begann nach der Psychose auch, in Babysteps daran zu arbeiten, mich zu trauen, nicht mehr fast nur mit Menschen innerhalb meiner Familie zu sprechen.  Besonders hilfreich, um trotz meiner phobisch starken sozialen Ängste diese Reise zu beginnen, war folgender eigener Gedanke: “Die absolute soziale Hölle hast du jetzt bereits erlebt – schlimmer missachtet werden kannst du nicht mehr, als ein Psychose-Patient es teilweise wird.  Du hast jetzt nichts mehr zu verlieren.” 

Die beschriebene Reise in mich selbst und in die Welt hinaus mit der neu-errungenen Rolle als Regisseurin meines Lebens umfasste aber noch so Vieles mehr. Mein Ziel war es geworden, alles, das ich als weise für eine gesunde, sinnvolle und glückliche Lebensführung empfand, zu finden, zu verstehen und nutzbar zu machen, um mein bestmöglich erfülltes Leben leben zu können.

Man mag jetzt meinen – „was hat all das mit Asperger zu tun“? Naja, vor Allem bei “unsichtbaren” Autist:innen durchaus Vieles. Viele von uns erleben seit frühester Kindheit, dass die eigene Wahrnehmung nicht verstanden wird. Sie wird auch Vielen abgesprochen. Du fühlst dich in der Welt mitunter nicht sicher, weil keiner dich versteht, noch schlimmer – sie denken, sie verstünden dich. Und manche versuchen leider, dir zu erklären, wer du angeblich bist.

Bei mir ging das so weit, dass ich nicht mal mehr selbst wusste, wie meine Wahrnehmung der Welt aussieht. Die Psychose war darin eben sogar ein hilfreiches Aufwachen. Meine eigene Weltsicht wurde mir erstmals wirklich intensiv zugänglich und das Gespür für mich selbst rückte in den Fokus. Trotzdem ist es natürlich auch eine Erkrankung. Die Kombination meiner anderen Wahrnehmung mit meinen extremen Anpassungsversuchen und dass mich Niemand verstand, machten diese wohl notwendig/ damals unentrinnbar.

Aber: Was machte dieses mein scheinbar öfters mal recht andersartiges Verhalten bezüglich Autismus in der Kindheit aus? Wie sah das bei mir aus?

Kindheit und Schulzeit: Belastende Erinnerungen

Ich redete in der Schule fast nie etwas – weder mit Lehrer:innen noch mit Mitschüler:innen –  das zog sich vom 1. Kindergartentag an bis zur Matura durch und hatte bestimmt viel mit Energiesparen und Selbstschutz zu tun, aber auch mit permanenter Ratlosigkeit und Angst. Im Einzelunterricht bei meinem Geigenlehrer – von 9 bis 13 lernte ich dieses Instrument auf meine Initiative hin – sprach ich auch beinahe kein Wort – es gab von mir meistens nur ein bemühtes Nicken oder Kopfschütteln auf seine bedachten ja/nein Fragen hin.

Ich wusste, ebenso wie viele andere Autist:innen, als Kind nicht, wie ich mich in Freundschaften verhalten sollte. Wie ich mich in Gruppen verhalten sollte, war noch sehr viel herausfordernder zu entschlüsseln. Das selbstverständliche „Skript“, von dem die anderen gar nicht merkten, dass sie es in sich trugen, fehlte mir. Mir hatte niemand die Spielregeln verraten.  Meine Mutter hatte ich durchaus ab und zu danach gefragt, aber sie verstand nicht, warum ich als junges Mädchen solche seltsamen Fragen wie “Was darf man mit einer Freundin spielen und reden und was nicht?” oder “Wie macht man das denn überhaupt?” stellte und wie ernst es mir damit war. Da meine Fragen anscheinend lächerlich wirkten und nur ich nicht wusste, “wie man das mit den Freundschaften macht”, dachte ich lange Zeit, ich sei vielleicht dümmer als Andere.

Gleichzeitig prasselte die Welt immer schon mit einer Wucht auf mich ein, die fast niemand nachfühlen kann und von der ich nichts wusste. Und zwar gleichzeitig visuell, akustisch, persönlich-emotional, vestibulär, taktil und atmosphärisch. Wie die meisten (jungen?) Menschen nahm auch ich an, alle würden im Grunde ähnlich wie ich selbst wahrnehmen, fühlen und denken. 

Übrigens: Wenn es nur eine Botschaft wäre, die ich allen Menschen ans Herz legen wollen würde, wäre es diese: Jeder Mensch hat eine andere Wahrnehmung – wir alle sind verschieden, Autist:innen sind nochmals deutlicher anders als die meisten Menschen im Mittel sind und nein: Ihr braucht es nicht exakt zu verstehen. Akzeptiert, dass nicht nur wir euch schlecht verstehen, sondern auch ihr uns. Denkt darüber nach, fühlt darüber nach und seid entsprechend – auf derselben Augenhöhe mit uns sprechend -respektvoll und freundlich. Nicht, weil es so “edel” ist, sondern weil es das Beste ist, das ein Mensch für seine Mitmenschen tun und sein kann. Und: Weil wir, “obwohl wir Autist:innen sind”, so etwas wie dieselbe Augenhöhe sehr wohl spüren können.

Zurück zu meiner Kindheit! 😉 Meine Taktik sah damals so aus: Möglichst nichts Ausprobieren. Sich zurückhalten. Beobachten. Lernen. Analysieren….. und das Alles: Allein. In Pausen blieb ich am Platz sitzen  –ich musste mich von dem vielen Tumult erholen und mich davor schützen und wusste ja eh nicht, wie ich wie die anderen „einfach so“ an Pausenaktivitäten hätte teilnehmen können. All das: „Tu es halt einfach“ waren schlechte Tipps – denn: “Was denn tun?”, fragte ich mich ja ratlos. Zusätzlich schienen mir die anderen Kinder regelmäßig laut, grob und launisch zu sein. Die von ihnen angewandten “Regeln” waren mir also auch noch unsympathisch oder besser: die Welt kam mir immens unfreundlich und regelmäßig egoistisch vor, vor Allem dann, wenn die Kinder in Gruppen miteinander kommunizierten.

Wenn in der Schule ein/e Lehrer:in eine Frage an die Klasse stellte, wollte ich gerne mitarbeiten und überlegte deshalb jedes Mal vor dem Aufzeigen sehr tiefgehend und perfektionistisch: Weder wollte ich das Thema verfehlen, noch eine triviale Antwort geben, wenn mich die Themen interessierten. Während ich noch mit mir rang – auch aus Angst, zu sprechen – gaben meine Mitschüler:innen ihre öfters mal unüberlegten Antworten mit einer beneidenswerten Unbekümmertheit und Gelassenheit….Mir dagegen blieb Frustration und Erleichterung, nicht dran gekommen zu sein, da ich noch gar nicht aufgezeigt hatte. Mein Herz pochte mir ohnehin bis zum Hals, wenn ich nur daran dachte, vor der Klasse zu sprechen. Kein/e Lehrer:in ahnte, wie sehr ich oft “unbeteiligt mitgearbeitet” hatte und wohl auch nicht, wie sehr ich mich davor fürchtete, zu sprechen.

Bei Kleingruppenarbeiten prasselte zu Vieles gleichzeitig ungeordnet auf mich ein: wie ich in der Gruppe tun könnte; entsprechendes Überflutetwerden von Ängsten; dann die Reizüberflutung durch meine Mitschüler:innen; auch noch der Fokus der Gruppe auf die lauten, schnellen und selbstsicheren Äußerungen, unabhängig von Qualität: …ich war in solchen Momenten von vorne bis hinten absolut fehl am Platze. Und dann sollst du da auch noch mittun, wenn du eigentlich grad in deine Einzelteile zu zerfallen drohst und dich wieder mal fragst, was das bitte alles sein soll hier……zumindest war spätestens das wohl die Geburtsstunde einiger Selbstberuhigungstechniken, die ich glücklicherweise instinktiv regelmäßig anzuwenden begann. Freier atmen konnte ich wieder, wenn es läutete und ich für mein Schweigen hoffentlich wieder nicht attackiert worden war.

Ich war in der Schule also immer voller Angst und Anspannung: Wenn mich dann noch ein:e Mitschüler:in unerwartet ansprach, erstarrte ich oft völlig. Immer versuchte ich, zu entsprechen und zu allen möglichst freundlich zu sein, weil ich das richtig fand: Nach außen hin wirkte ich schlicht äußerst schüchtern und ruhig.

Unter großen Anstrengungen konnte ich meine Angst zu Sprechen in Prüfungssituationen überwinden, sodass ich meine Leistungen oft gut oder sehr gut erbringen konnte. Doch es kostete mich so schrecklich viel Kraft, meine zahlreichen Gedanken und Ängste zu bändigen, mich zu beruhigen und mich schließlich zum Antworten zu zwingen. Diese dauernden Kraftanstrengungen waren mir aber damals nicht bewusst – da der Großteil meines Lebens immer schon von eben solchen bestimmt gewesen war.

In meiner Teenagerzeit wurden meine Ängste deutlich schlimmer statt besser. Während viele Mitschüler:innen jetzt dauernd darüber sprachen, den Führerschein zu machen oder darüber, was jetzt wieder Aufregendes an ersten Liebschaften passiert sei, machte ich mir über den Sinn des Lebens Gedanken. Das war schon immer ein großes Interesse gewesen und es verstärkte sich in meinen Teenagerjahren nochmals. Dieses Thema interessierte meine Mitschüler:innen kein bisschen – das war mir schon klar. Jeden Tag nach der Schule musste ich mich von den Ängsten, der Frustration und der Anspannung erstmal erholen. Keiner wusste, was ich durchlitt – glücklicherweise auch ich damals nicht.

Unauffällig nach außen hin blieb ich dadurch, dass ich eine der guten Schüler:innen war, obwohl ich mein Potential sicher nicht ausschöpfen konnte, denn ich bewältigte diese Jahre und Jahrzehnte auf jene Art und Weise, die vielleicht auch beim Zahnarzt manchmal hilfreich ist: Augen zu und durch. Bei jedem Mal, wenn dir wieder ein Zahn gezogen wird, bist du tapferer geworden. Du weißt, dass du die Spritze davor auch diesmal wieder überleben wirst. Nur – irgendwann hast du keine Zähne mehr im Mund, wenn du dir alle Zähne ziehen lässt! Du lernst das Aushalten, aber du vergisst, wer du bist, denn das ist “irrelevant” geworden.  

Aber meine Schulzeit bestand auch aus Manchem sehr Schönen….

Ein Sport als Lichtblick

Glücklicherweise hatte ich im Alter von 12 Jahren eine weitere große Leidenschaft für mich entdeckt, die in dieser starken Ausprägung niemand, den ich kenne, mit mir teilte: Es handelt sich um Basketball. Ich war aber nicht an irgendwelchen Daten und Fakten interessiert, sondern ich liebte es, mir selbst das Werfen und Dribbeln technisch möglichst gut beizubringen und bekam als Weihnachtsgeschenk auf meinen Wunsch hin auch einen eigenen Basketballkorb für zuhause. Dieser musste korrekt hängen – genau auf 3,05 Metern Höhe – so, wie es den Regeln entspricht – sonst wärs ja nicht mehr wirklich Basketball gewesen.

Rückblickend gesehen bin ich sehr froh, dass der Flow, den ich beim Spielen empfand, mich durch diese Jahre trug. Die Schule war für mich trotz meist guter Noten mehr eine Qual als irgendetwas sonst. Aber beim Basketballspielen war alles gut und ich war mit meinem Leben wieder mehr als versöhnt. Ab 16 ergab sich dann die Möglichkeit, in einem Basketballteam mitzutrainieren, worüber ich mich sehr freute. Bei Gesprächen in der Umkleide sollte ich zwar wiederum nie wirklich dazugehören, doch ich mochte diesen Sport zu sehr, als dass ich nicht trotzdem bei jedem Training beflügelt gewesen wäre, wieder in der Halle trainieren zu dürfen.

Zum Beispiel: Immer wieder das rhythmische Geräusch des auf dem Hallenboden aufprallenden Balls zu genießen und auszulösen, dabei verschiedene Basketball-Moves übend. Beim Werfen immer wieder das lohnende Geräusch bei einem makellosen Treffer ins Netz, der den Ring nicht berührt – den sogenannten Swish – zu bewirken und zu genießen und Vieles weitere. Natürlich auch das miteinander Basketballspielen, also das wirkliche Mannschaftsspiel.

Damals und Heute

Die fehlende Orientierung bezüglich meines eigenen Platzes im sozialen Miteinander habe ich mir mit viel Durchhaltevermögen und Liebe zur Sache durch jahrelanges Beobachten und Zuhören erarbeiten können. Die ganzen, mir als Kind unklaren zwischenmenschlichen sozialen Gepflogenheiten und Dynamiken verstehe ich inzwischen gut und kann sie meistens auch flexibel deuten. Mir sind nur manche davon nicht sympathisch. 

Auch heute bin ich in der Umkleidekabine noch eher ruhig, aber ich habe mir die Welt des Smalltalks in ihren Grundzügen erobert. Mehr wollte ich auch nicht: Wichtig ist mir, dass ich eine Mischung aus Anpassung und Individualität beibehalte beziehungsweise immer wieder entwickle.

In Folgendem haben Nicht-Autist:innen meiner Meinung nach den besseren Part erwischt: Sie können mit verschiedenen typischen Kommunikationsweisen etwas mehr anfangen und gehören dadurch stärker dazu. Sie haben auch meine Probleme mit mimischen Aspekten nicht, die ich gerne los wäre, da sie oft zu Missverständnissen beitragen oder unsichtbar machen, wie ich mich fühle sowie missverständlich machen, wie ich auf Bemerkungen um mich herum innerlich reagiere. Augenfältchen-Mimik ist eher schwierig für mich zu deuten und ich drücke diese auch selbst wenig und undifferenziert aus. Das betrifft aber meine Mimik und nicht meine Gefühle an sich.

Regelmäßig weiß ich nicht, ob an meinem Gesicht abgelesen wird, was ich gerade versuche, auszudrücken. Schon viele Jahre vor meiner Autismusdiagnose ist es vorgekommen, dass, wenn ich in der Stadt spazieren ging, mein Blick herumschweifte und während ich dachte, ich würde lächeln, ich unbeabsichtigt mein Gesicht in einer reflektierenden Auslage bemerkte, nur um darin dann keine Regung feststellen zu können und mich darüber sofort entsprechend zu erschrecken. (Denn ich lächelte ja eigentlich gerade gefühlt stark – so hatte mein Körper es mir ja vom Körpergefühl her signalisiert gehabt). Ich erschreckte mich dabei, da ich sofort verstand, was das für meine Beziehungen bedeuten kann, wenn ich dem nicht “zusätzlich” oder “ausgleichend” entgegenzuwirken versuche. 

Ich vermisse es ab und zu, auch mal auf der gleichen Wellenlänge wie die anderen zu schwingen: Dass das Miteinander einfach mal kurz mühelos ist, weil auch ich zur Mehrheit gehöre. Aber insgesamt möchte ich nicht klagen. Denn viele meiner Fragen sind heute beantwortet. Was um mich herum passiert, ist mir inzwischen meistens glasklar. Mit Freund:innen spreche ich so, wie es mir und meinem Gegenüber entspricht und Wohlgefühl als auch Spontanität sind gesprächstechnisch längst kein Problem mehr für mich.

Meine spät gefundenen Freunde sind ein lang ersehnter und hoch geschätzter Teil meines Lebens. Und das Beste zum Schluss: Mein “Lieblings-Du”(Lieblingsmensch :)) hat mich bereits gefunden und ich sie. Darin bin ich reich beschenkt worden und bemühe mich, ebenso dieses Geschenk für sie zu sein.

Eine besondere Betreuerin

Ab Mitte 2017, eine Weile nach dem erfolgreichen Abschluss meines Psychologiestudiums und noch vor meiner Asperger-Diagnose, arbeitete ich im Sozialbereich. Vielleicht war ich die seltsamste Mischung aus anfänglicher Unbeholfenheit, einer ausgeprägten Fähigkeit für das Analysieren tieferliegender menschlicher Zusammenhänge sowie großer Akzeptanz verschiedener Menschentypen, die die Wiener Soziallandschaft seit Langem gesehen hat. 

Ich lernte in diesen 2,5 Jahren sehr viel – durchs Tun. Es war anfangs oft hart, aber das  jahrelange Beobachten und Menschen Zuhören, das ich immer schon spannend gefunden hatte, hatte sich ausgezahlt. Meine sozialen Fähigkeiten wurden zu dieser Zeit hauptsächlich noch durch meine Angst gebremst, die wiederum durch meine fehlende Erfahrung genährt wurde. Jetzt ging es darum, aktiv zu lernen und meinen eigenen Weg als Betreuerin zu finden. Im Endeffekt begann ich, Vieles an dieser Arbeit zu lieben und wurde eine sehr gute Betreuerin.

Meine Frau meinte, das Besondere an mir als Betreuerin sei gewesen, dass ich eine außergewöhnlich gute Zuhörerin sein kann. So wenig das ins Stereotyp passen mag, so wahr ist es nichtsdestotrotz und umso lieber erwähne ich es an dieser Stelle. Diagnosen sollten den Menschen – soweit sie dazu geeignet sind – ein Mittel sein, ein erfüllteres Leben zu führen.  Nicht aber sollten Menschen den Diagnosen dienlich sein oder dienlich gemacht werden – ob man sich das selbst antut oder andere Menschen das tun – es bleibt ein destruktiver Irrweg, den es immer wieder aktiv zu erkennen und zu verhindern gilt..

In der Krise dekodiert 

Ende 2019 aber kam ich unter Anderem durch eine ungünstige Teamdynamik, einige schwere private Umstände,  sowie durch die Anstrengung in der Teilbetreuung von chronisch psychisch erkrankten Personen in eine Erschöpfungskrise. Wie das Leben so spielt,  entschlüsselte ich in genau dieser Krise eines der größten ungelösten Rätsel meines Lebens endlich vollständig – mein Aspergersyndrom.

Beim Googeln von Hypersensitivität und Asperger stieß ich bald auf diesen Zeitungsartikel eines betroffenen, mit 40 Jahren als Asperger diagnostizierten Wieners. Ich merkte, dass er in Einigem so ähnlich wie ich tickte und fühlte mich von seinem Schreiben ergriffen und verstanden. Mir war danach sehr wichtig, das diagnostisch abzuklären – im Juni 2020 wurde ich dann als im Autismusspektrum angesiedelt diagnostiziert. Die Erzählung über die Chronologie der Ereignisse bis zu meiner Diagnose möchte ich jetzt mit der eingangs angesprochenen Metapher abschließen.

Eine Metapher fürs Autismusspektrum

Wie fühlt es sich nun aber an, Autist:in zu sein? 

Ich las einmal in einer tollen Präsentation eines Autisten (leider habe ich dieses Werk im Nachhinein nicht mehr finden können, sonst hätte ich die Präsentation gerne verlinkt) dass wir als Autist:innen es mit einem anderen Cockpit zu tun hätten als ein typischer Pilot. Ich wandle die Beschreibung hier etwas ab und ergänze sie.

Wenn wir jetzt das Leben eines Menschen mit dem Dasein eines/r frisch gebackenen Piloten/Pilotin vergleichen: 

So ist es bei einem/r  Nicht- Autist:in so, dass wenn man in das Cockpit geht, es dort einen Bordcomputer und einige automatisierte Bedienungselemente gibt. Es gibt eine fixe Anweisung, was zu tun ist und selbstverständlich eine Ausbildung zum/r Pilot:in. Das schafft Sicherheit, das reduziert Ängste. Als Autist:in dagegen hast du überhaupt keine Ausbildung oder Anweisungen bekommen. Und noch dazu siehst du, wenn du in das Cockpit reingehst, keinen Bordcomputer. Da ist nichts Automatisiertes vorhanden. Alles ist manuell zu bedienen. Und dann – um dich herum – in ihren eigenen persönlichen Cockpits sitzend – beginnen alle anderen angehenden Pilot:innen bereits, abzuheben. Sie beginnen einfach so loszufliegen. Nur du sitzt immer noch in deinem Cockpit rum und zögerst. Nur du scheinst erstmal gar nichts zu kapieren. Spürst du, wie sich das anfühlen könnte?

Das Problem ist bei unerkannten Autist:innen ja oft, dass sie auch selbst nicht wissen, dass die anderen nicht diese überfordernden, manuell zu bedienenden Cockpits hatten/haben. Und die Umgebung merkt oft aufgrund der geringen Mimik nicht viel von der vorhandenen Angst, Verwirrung und Ratlosigkeit, die insbesondere in der Kindheit unerträglich groß sein können. Die “seltsamen Fragen”, die man als Kind vielleicht noch stellte, hat man ja als Erwachsener längst verdrängt und stellt sie der Umgebung nicht erneut.

Übrigens: Das leere Cockpit bezieht sich bei Autist:innen aber nicht nur auf soziale Situationen, sondern auch auf das Erlernen anderer Inhalte: Man hat überall ein manuell zu bedienendes Cockpit. Man sieht die „selbstverständlichen Zugänge zu Themen“ sehr oft kaum bis nicht, sondern hat bei wirklich neuen Themen und Situationen ein leeres Blatt Papier vor sich liegen. Im Positiven bedeutet es aber auch, dass, wenn du deinen Weg findest, es ein origineller und genau ein zu dir passender Weg sein könnte.

Der typische Autist und die typische Autistin: “Was soll Das denn bitte sein?”

Das war`s nach diesem langem Artikel von mir. Ich bedanke mich dafür, dass ihr so weit gekommen seid und mich würde interessieren: Wie seht ihr als Leser:innen das: Ist man mit Interesse an Menschen eher ein:e untypisch:e Autist:in oder ist mehr das Bild über Autist:innen in der Gesellschaft zu wenig differenziert? 

Um die Frage durchaus mal kritischer zu beleuchten: Was, wenn die Frage nach dem 0815 neurotypischen Menschen gestellt werden würde? Und – falls die Antwort darauf ein ungläubiges Kopfschütteln auslösen sollte, was anzunehmen ist – so möchte ich auf folgende Weise auch selbst Stellung zu meiner Frage beziehen:

Es macht mir große Freude, mir vorzustellen, dass es irgendwann in der Zukunft mal eine Zeit und einen Ort geben könnte, in welcher auch die Frage nach dem oder der typischen Autist:in zuallererst ein Kopfschütteln und irritierte Blicke auslösen würde!

 

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